Er ist gerade mal 23 Jahre alt geworden und beschäftigt spätestens seit diesem Jahr nahezu die gesamte Medienwelt: Georg Büchner. Der Revolutionär und Literat aus dem frühen 19. Jahrhundert. Ein Vormärz-Kind. Anlass ist sein zweihundertster Geburtstag. Aber ist der Mann wirklich ein Literat und Revolutionär oder vielleicht nur deswegen so berühmt, weil er die Bühne zu früh verlassen hat? Vorbilder für postume Berühmtheit wegen zu frühen Ablebens gibt es einige.

Gerade 23 Jahre wurde Georg Büchner, hier in Bronze portraitiert von Karl-Henning Seemann am “Denkmal der politischen Innovationen”, das 2006 vor dem Alten Schloß in Gießen geschaffen wurde. Bild: v. Gallera
In Hessen sind es mindestens zwei Städte, die mit ihm verbunden sind: Gießen und Darmstadt. Und daher Büchner auch entsprechend feiern. Und mit ihm seine Familie. In Darmstadt eröffnete Oberbürgermeister Jochen Partsch im Liebighaus am Dienstag eine Ausstellung zu Büchners Schwester Luise .
Nur ist Büchner wirklich der Revolutionär? Und ist der Rummel – elegant neudeutsch der „Hype“ – der um ihn getrieben wird, tatsächlich gerechtfertigt? Oder profitiert Büchner postum von seinem frühen Tod?
Es gibt ja einige früh Verstorbene, die sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt haben, von der Antike bis in unsere Tage. In der Regel geschah dies durch die spektakulären Umstände ihres Todes, wegen der Entdeckung ihrer Grabstätten oder weil sie nach überwiegender einhelliger Meinung Epochales auf den Weg gebracht hatten. Die berühmtesten frühen Toten sind wohl Tutenchamun und Alexander der Große. Der eine, weil in einem prunkvollem Grab gefunden, der andere, weil er mit dem Aufbau eines Riesenreiches der damaligen Welt seinen Stempel verpasst hat, dessen Abdrücke teilweise heute noch spürbar sind.
Aus der Geschichte der Rockmusik ist der “Klub der 27” bekannt. Fünf führen diese Liste an: Von Rollingstones-Gründungsmitglied Brian Jones bis Nirvana-Frontmann Kurt Cobaine. Jüngstes Mitglied dieser Liste ist die 2011 gestorbene Amy Winehouse. Zumindest den fünf Köpfen, die die Liste anführen, werden stilbildende Einflüsse zugeschrieben. Allen gemeinsam ist, dass sie ein Leben auf der Überholspur geführt haben, oft begleitet von Drogen- und Alkoholexzessen. Gestorben sind sie entweder durch Verkehrsunfälle, unter mysteriösen Umständen oder wegen Drogen- und Alkoholmissbrauchs.
Von alledem kann bei Büchner nicht die Rede sein: Gestorben ist er, weil er an Typhus erkrankte. Und Exzesse, Frauengeschichten? Zumindest berichtet keiner der Biografen über derartiges. Und seine literarische Hinterlassenschaft umfasst ein schmales Werk. Und dieses schmale Werk rechtfertigt nun diesen Furor? Gibt Germanisten Brot und Arbeit, taucht als permanente Schullektüre auf? Am Ende ein Autor für Germanisten, Schüler und Medienleute. Damit die über ihn schreiben?

Träumer oder Revolutionär? Auf der Badenburg bei Gießen schrieb Georg Büchner seinen Hessischen Landboten. Montage: v. Gallera
Zumindest gut soll er ausgesehen haben. Das unterstellt Spiegel-Autor Matthias Matussek in seinem Sechsseiter vom 30. September. Der „heilige Rebell“, zu dem ihn der Spiegel erhebt, soll laut polizeilichem Steckbrief ein Frauenschwarm gewesen sein, der Typ Mann, dem die Frauen sofort zu Füßen liegen. Aber gutes Aussehen rechtfertigt noch nicht den Rummel, der später um ihn getrieben wurde. Vielleicht eher die Tatsache, dass er ein Getriebener war. Denn zumindest im Sinne der französischen Revolution scheint er dieses „ça ira“-Feuer in sich zu tragen. In Gießen auf der Badenburg entsteht der Hessische Landbote mit dem markanten Spruch „Friede den Hütten! Krieg den Palästen“. Was Büchner angetrieben hat, sei die soziale Ungerechtigkeit gewesen. Aber Matussek bezweifelt, dass er wirklich der Revolutionär ist, zu dem er im Nachhinein gemacht wurde. Er versieht das Etikett mit einem fetten Fragezeichen.
Dem Politmagazin Cicero ist der Dichter dagegen gleich die Titelgeschichte in der Oktoberausgabe wert. Und zum Streitgespräch lädt das Magazin die beiden Büchner-Biografen Hermann Kurzke und Jan-Christoph Hauschild ins Stadttheater nach Gießen ein. Für den 70-jährigen Kurzke sind die Büchners kurzem Leben entsprungene Werke „alle extrem unwahrscheinlich“. Die könnten nicht nur seinem Kopf entsprungen sein, da müssten noch andere geheimnisvolle Kräfte im Spiel sein. Für den 58-jährigen Hauschild ist Büchner dagegen ein Virus, den die Deutschen so schnell nicht mehr loswerden. Er sei in der Literatur nach ihm überall greifbar.
Der Versuch, dem „gemeinen Volk“, also den Normalkonsumenten oder Kollegen „aufs Maul zu schauen“, verlief dagegen eher ernüchternd. Aus der Schule bekannt, das wäre es dann aber auch schon, der Tenor. Mit der freien Redakteurin Sabine Glinke aus Wettenberg und Tageszeitungsredakteur Frank Bugge kennzeichneten zwei Journalisten aber die Positionen, die sich im Großen auch im Spiegel und im Cicero wiederfinden.
Geht es generell um Hypes, die um jung verstorbene Künstler, Literaten, Musiker entstehen, so hält Sabine Glinke generell nichts davon. Es wäre richtig, sich schon zu Lebzeiten mit ihren Leistungen zu befassen. Sie denkt allerdings, dass Büchner mit seinen Schriften mehr Sozialrevolutionär sei als manch anderer zu seiner Zeit. Frank Bugge, von Haus aus Germanist, sieht in Büchner ebenfalls jemanden, der revolutionäre Zeichen gesetzt hat. Dass er aber diese Berühmtheit erreicht habe, könnte durchaus auch etwas mit seinem frühen Tod zu tun haben. „Goethe hat ja etwa mit den Leiden des jungen Werther etwas Vergleichbares geschaffen. Später, als er älter wurde, wurde er ruhiger. Vielleicht wäre Büchner ja dann auch gesetzter geworden“, vermutet Bugge.
In eigener Sache: Dieser Artikel ist für die MarkStein Software GmbH in Zusammenarbeit mit dem Mittelhessenblog erarbeitet worden. MarkStein Software GmbH unterstützt Medien, Kunst und Kultur, wie die Fototage Darmstadt (iPad-App, erstellt mit dem Applisher). Mit der DTP-Software tango solo für Autoren und Designer und dem Multi-Channel Publishing-System tango media für Medienhäuser und Unternehmen bietet die MarkStein Software GmbH XML-basierte Medientechnologie aus Hessen für den deutschen Sprachraum.
Büchner war Revolutionär aus bewusster Entscheidung und nicht wider Willen. Und er wurde nicht berühmt, weil tot, sondern weil gut.
Die deutschen Dramen des 20. Jahrhunderts sind auf eine Weise von Büchners Dramen beeinflusst, wie das von keinem anderen Autor gilt. Hauptmann und Wedekind, Brecht und Heiner Müller beziehen sich explizit auf ihn. Und die “Büchner-Biennale” hat dies jedenfalls bewiesen: noch immer kann uns Büchner mit einem einzigen Satz so packen, dass wir überrascht und angerührt sind.
Sein Biograf Hauschild meint, keines seiner Werke hätte auch nur annähernd die uns heute bekannte Form, wenn er sie hätte in Ruhe zu Ende bearbeiten können. Das gilt natürlich und ganz besonders auch für seine politische Arbeit. Spekulationen sind da wohlfeil, aber dass ihn auch als renommiertem Züricher Anatomieprofessor die 48er-Revolution in Deutschland berührt hätte, ist unbestritten.
Gut, dass wir ihn haben!
Es gibt natürlich auch Rebellen, die alt geworden sind und trotzdem als Rebellen gelten, und natürlich auch Rebellinnen dieser Art, ist klar. Zum Beispiel Mathilde Franziska Anneke oder Uschi Obermaier. Zugegebenermaßen ist die Schar der jungen Rebellen, die sich mit zunehmenden Alter an die Konventionen angepasst haben, ziemlich groß.
Georg Büchner war von seinem Werk her gesehen ein großer Zyniker. Außerdem ist seine Literatur gespickt mit Anspielungen in Bezug auf Pädosexualität. Nur gehen die Büchner-Gemeinde und der Kulturbetrieb mit diesen eigentlich unübersehbaren Motiven so um, wie die Täter bzw. die stillschweigenden Zeugen mit den Missbrauchsopfern. Näheres in dem im Passagen Verlag erschienenen Buch von mir: Georg Büchner. Dichter, Spötter, Rätselsteller. Entschlüsselungen