Ebenso inflationär wie Apps kommen immer mehr E-Books auf den Markt. Wie können wir denn als Leser deren Qualität erkennen und können wir uns in Zukunft noch auf Verlage als Garant für Qualität verlassen? Brauchen wir nicht ein Gütesiegel für E-Books?
Zwei Sätze in einem Brief eines Schulfreundes haben mich stutzig gemacht. Er schrieb: „Der Verkauf meiner E-Books ist mir nicht so wichtig, zumal ich von der Qualität selbst nicht überzeugt bin. Es ist mehr so das Gefühl, Kinder in die Welt gesetzt oder ein Apfelbäumchen gepflanzt zu haben.“ Früher war es das gedruckte Buch, dann kam das Fernsehen und jetzt vielleicht E-Book und YouTube. Wer sich einmal in einem dieser Medien verewigt hat, wird unsterblich. Und das Schönste dabei ist, ebenso wie jeder mehr oder minder begabte Künstler heute für kleines Geld Musik und Videos aufnehmen und auf YouTube veröffentlichen kann, so kann jeder Möchtegern-Autor ohne Probleme inzwischen seine Werke mit geringem Aufwand im Netz anbieten. Letzteres wird dann sogar noch unter dem Namen Self-Publishing zum Publikumshype und gleichzeitig zum Horror etablierter Verlage. Bei meinem Schulfreund allerdings zweifle ich nicht an der inhaltlichen Qualität seiner Werke im Netz, weil ich weiß, wie sorgfältig er bei seinen Veröffentlichungen vorgeht.
Wo bleiben wir da als Leser? Wie sollen wir die Relevanz und Qualität digitaler Medien erkennen können?
Bleiben wir zuerst bei den Büchern. Gedruckte Bücher haben per se einen Wert, weil Autor und Verlag sich vorher gut überlegen, ob der Inhalt den Aufwand und die Kosten, das Buch drucken zu lassen, lohnt. Da die Kosten für gedruckte Bücher hoch sind, kann man davon ausgehen, dass alle Beteiligten beim Publizieren sorgfältig vorgehen.
E-Books dagegen haben erst einmal keinen solchen impliziten Wert. Niemand kann auf Anhieb erkennen, ob das Werk mit Sorgfalt lektoriert, redigiert und korrigiert wurde oder einfach nur ein digitaler Texthaufen ist. Ob es liebevoll produziert oder lieblos auf den Markt geworfen wurde. Selbst Leseproben führen hier nicht unbedingt zur Erkenntnis. Also benötigen wir Leser an dieser Stelle Hilfe.
Dafür gab es doch bisher eigentlich die Verlage. Die Wahrheit ist aber, dass diese aufgrund von Konzernstrukturen und (vorgeschobenen) Kostengründen vielfach ihre eigentliche Aufgabe heute nicht mehr adäquat wahrnehmen, nämlich sorgfältig zu lektorieren, redigieren und korrigieren. Beispiel: Ein großer Schulbuchverlag oder besser die entsprechende Verlagsgruppe kauft einen weiteren Verlag dazu und stellt fest, dass dieser seine Bücher erheblich günstiger im Ausland produziert. Also werden alle Herstellungsabteilungen in Deutschland aufgelöst, langjährige Mitarbeiter entlassen und die Produktion nach Indien verlagert. Jeder, der sich ein bisschen mit Off-Shore auskennt, weiß, dass das langfristig nicht funktioniert. Jedenfalls nicht in der bisherigen Qualität, die durch die langjährigen Mitarbeiter mit ihrer Erfahrung sichergestellt wurde. Außerdem geht der Preisvorteil durch aufwendige Abstimmungsprozesse und aufgrund von Reibungsverlusten durch Sprach- und Kulturunterschiede verloren. Ich weiß, wovon ich spreche, haben wir doch vor Jahren selbst ein unseliges Projekt mit Russland versucht. Die Ergebnisse waren die Forderung der russischen Auftragnehmer nach immer mehr Geld, ein unbrauchbares Ergebnis und sehr viel Verwaltungs- und Prüfarbeit. Von den E-Mail-Kaskaden mal ganz abgesehen…
Wenn sich dieser Trend fortsetzt, können wir uns sogar bei gedruckten Büchern aus Großverlagen nicht mehr auf die Qualität verlassen, da das gedruckte Buch immer noch das Hauptgeschäft ist und „reine“ E-Book-Projekte erst nach und nach realisiert werden.
Doch zurück: Wie sollen wir als Leser also herausfinden, ob ein E-Book sorgfältig erstellt wurde?
Nun ja, als erstes haben wir doch die sozialen Netzwerke, die einen Anhaltspunkt geben können. Damit wird zwar keine schlechte Qualität verhindert, aber zumindest bloßgestellt. Leicht kann sich die Schwarmintelligenz aber auch im großen Ozean verirren oder in die Fänge von Meinungshaien geraten. Besser wäre da eine unabhängige Stelle, die die sachliche Qualität der E-Books beurteilen kann. Selbstverständlich nicht inhaltlich, was einer Zensur gleichkäme, sondern rein nach Sorgfaltsgesichtspunkten in Form eines Qualitätssiegels eines unabhängigen Gremiums. Zu beurteilen wäre die Form (Cover, Inhaltsverzeichnis, Register), das sachliche Lektorat und selbstverständlich Rechtschreibung und Nutzbarkeit (Querverweise, Links etc.). Ein Buch, das als PDF angeboten wird, bekäme bei mir niemals ein Siegel, da es immer auf irgendeinem Gerät nicht wirklich lesbar ist.
Als Institution für die Prüfung wäre der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zwar passend, aber er ist trotzdem nicht der richtige Ansprechpartner, da er den Interessen der Verlage verpflichtet und somit nicht neutral ist. Vielleicht findet sich hier ein neues Aufgabengebiet für die Deutsche Nationalbibliothek, die auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen sein dürfte, da ihr bisheriges nicht mehr vollumfänglich greift. Da müsste es doch hervorragende Leute geben, die die Qualität von Büchern und E-Books schnell und kompetent beurteilen können. Ein solches Gütesiegel muss ja nicht kostenfrei abgegeben werden, der Aufwand sollte schon vergütet werden. Die Leser sollten von jedem Verlag oder Self-Publisher einfordern, dass er seine digitalen Werke prüfen lässt, um sicherzustellen, dass bestimmte Qualitätsstandards eingehalten wurden.
Michael Stühr
Zum Autor: Michael Stühr arbeitete von 1976 bis 1986 als Autor und Verleger. Seit 1986 beschäftigt er sich mit Software im Redaktions- und Publishing-Bereich, beobachtet und kommentiert die Entwicklung der Medienlandschaft. Weiterhin ist er an der Hochschule Darmstadt als Lehrbeauftragter tätig.
Pingback: Michael Stühr: Ein Gütesiegel für E-Books « buchreport.blog
Gütesiegel – bitte nicht! Es würde ja genau das kaputt machen, was sich die Netzgemeinde, die vielen bei Verlagen abgeblitzen Autoren mühselig aufgebaut haben. Nämlich Demokratie. Der neue Veröffentlichungsprozess ist frei und so sind es auch die Leser und Käufer. Jeder hat die Freiheit, vorab per Leseprobe zu prüfen, ob das jeweilige E-Book zusagt, inhaltlich als auch von der Form her. Wenn er sich nicht einmal soviel Zeit nimmt – sorry.
Ständig diese Anekdoten aus fernen Zeiten (Druckmaschine hier, Fotosatz da, Repro tralala) – keiner von damals hätte diese Dinge freiwillig getan, wären sie so einfach wie heute gewesen. Seien Sie doch ehrlich…
Ich halte von Gütesiegeln gar nichts, aus drei Gründen:
1. auf das erste Siegel folgt das zweite und schon bald haben wir zwanzig Siegel und der Leser hat nichts davon
2. ich finde es eine Anmassung, dass sich jemand überhaupt das Recht herausnehmen würde, über gutes oder schlechtes Lektorat zu urteilen – das sollte jedem selbst überlassen bleiben
3. es würde das am leben halten, das zerstörenswert ist: Gate-Keeping. Nein, danke!
Zu Punkt 1: Ich gebe Ihnen recht, das ist eine Gefahr – siehe “Bio”.
Zu Punkt 2: Ich freue mich über jeden, der meine Texte kritisch redigiert.
Zu Punkt 3: Das Gütesiegel wäre eine Option, aber kein Zwang. Insofern passt “Gate-Keeping” hier nicht.
Zur “guten alten Zeit” und den Anekdoten: Der schnelle Klick gefährdet die Sorgfalt. Und früher war mehr Wissen.
Habe die “Anekdoten” entfernt. Geht gut auch ohne.
Pingback: Rant: Neues Geschäftsmodell - Gütesiegel für eBooks
Zu https:///phantanews.de/wp/2013/12/rant-neues-geschaeftsmodell-guetesiegel-fuer-ebooks/
Lieber Stefan Holzhauer,
vielen Dank für Ihre Gedanken zum meinem Blogbeitrag.
Es ist richtig: Leider bieten zum Teil auch alteingesessene Verlage hahnebüchene Qualität an:
– E-Books ohne qualifiziertes Inhaltsverzeichnis und Navigation
– E-Books als plain PDF
– E-Books, die nicht einmal korrekt dargestellt werden
Solche Machwerke gefährden den nachhaltigen Erfolg der jungen Branche. Ein einmal enttäuschter Leser ist nur sehr schwer wieder für E-Books zu interessieren. Ihr Artikel erweckt aber den Anschein, die Firma MarkStein wolle Gütesiegel verkaufen, dem ist selbstverständlich nicht so. Ich denke lediglich öffentlich darüber nach, ob ein Gütesiegel helfen würde, die Spreu vom Weizen zu trennen. Mein Vorschlag ist, einer unabhängigen Institution E-Books zur Prüfung vorzulegen. Zunächst eine rein technische und inhaltlich formale Prüfung nach offengelegten Kriterien (nicht selbstherrlich wie bei Apple), selbstverständlich auf freiwilliger Basis. Das ist kein Torwächter alten Stils, sonder ein reiner Qualitätsnachweis. Oder scheuen Sie den etwa? Von einem Zwang zum Siegel oder eine Platzierung auf dem Cover war gar nicht die Rede.
Natürlich leben einige Blogartikel von Polemik. Polemik kann die Probleme der Branche aber nicht lösen. Nur eine Zusammenarbeit von Selfpublishern, Autoren, Technikern und Verlegern wird den Lesern bestmögliche E-Books liefern. Dann gewinnen beide: die E-Book-Macher und die E-Book-Leser.
Beste Grüße
Michael Stühr
Am Ende der Kostenloskultur*
Erst wenn ihr das Endgame erreicht habt,
das Licht ausgeht
und der Akku vom Laptop versagt,
werdet ihr merken,
dass eure Eltern den Strom bezahlten.
Dem unbekannten Nerd
*Weissagung der steuerzahlenden deutschen Stämme (art)
Ein Gütesiegel für #eBooks, bereitgestellt von einer Bibliothek, einem Verlag oder einer wie auch immer zusammengesetzten Redaktion, muss sich stets dem Verdacht der Parteilichkeit stellen.
Um in der neuen Kultur des demokratischen Publizierens Qualität und Relevanz zu Tage zu fördern, bedarf es eines neuen Ansatzes: Auf http://www.bibago.de entsteht hierzu eine Lösung, die auf die “Intelligenz des Schwarms” und die “Mitmachkultur” des Social Web setzt. Fachinteressierte und Fachexperten können zu beliebigen Themen Quellen, Inhaltsangaben und Rezensionen miteinander teilen und so in ihrem Fachbereich auf dem Laufenden bleiben.
Wir freuen uns über interessierte Besucher auf http://www.bibago.de, die wir gerne rechtzeitig zum Launch über Bibago informieren.