Da die Sommermonate in der Verlagsbranche eher ruhig sind, geht es hier jetzt mal um ein grundlegendes Thema: Vertrauen oder besser das Verschwinden desselben. Anlass zu meinen Überlegungen ist die Aktion des Künstlers Ralf Kopp, der am 17. Juli vor der Frankfurter Katharinenkirche das Wort VERTRAUEN aus 54.000 Ein-Cent-Münzen legte. Der Name der Aktion: „Gier frisst Vertrauen“ – um 3.30 Uhr nachts war das gesamte Geld weg.
Vertrauen ist also Mangelware. Wir stellen das jeden Tag fest, seitdem man in unserem Shop das DTP-Programm tango solo als Freeware herunterladen kann. Für mich ist es selbstverständlich, bei einer Registrierung den richtigen Namen und Adresse anzugeben, auch wenn man etwas kostenlos erhält. Trotzdem gibt es da Bestellungen von asdf, BH und Hugo Boss – warum? Kann man selbst einer deutschen Firma nicht mehr vertrauen? Warum will der Kunde nicht mehr Kunde sein mit allen Vorteilen des persönlichen Kontaktes? Ich bin zugegebenermaßen etwas ratlos.
Verunsicherung frisst Vertrauen. Ein Prozess, der schon um die Jahrtausendwende eingesetzt hat und seine Grundlage im Verhalten staatlicher Organisationen und großer Firmen hat. Der Staat hat kein Vertrauen mehr zu uns als Bürger, er versucht unser Leben bis ins Kleinste zu regulieren. Beispiel eines Auswuchses: Die Stadt Darmstadt hat jetzt einen Bußgeldkatalog für Wildpinkeln (50 Euro) und weggeworfene Zigarettenkippen (20 Euro) aufgelegt. Geht´s noch? Hat der grüne Oberbürgermeister nichts Besseres zu tun?
Zu den großen Firmen können die Mitarbeiter kein Vertrauen mehr haben, seitdem die „Heuschrecken“ unterwegs sind. Der Einzelne spielt keine Rolle mehr, der Mensch wird der Rendite geopfert. Wenn der Job dauerhaft zur Disposition steht, werden persönliche Lebensentwürfe vereitelt. Wie soll man da Vertrauen in die Zukunft entwickeln? Ein anderer Aspekt: Für viele mittelständische Firmen ist es schwierig bis unmöglich geworden, langfristige Geschäftsbeziehungen zu auftraggebenden Konzernen zu unterhalten. Dies ist aber die Grundlage ihrer Existenz. Oft sind schon nach kurzer Zeit neue Leute da, die nicht auf das vertrauen, was die Vorgänger gemacht haben. Und für ein paar Dollar weniger werden langfristige vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen gekippt.
Dann wäre da noch die Sache mit NSA und Co. Wir wissen inzwischen, dass wir rundumüberwacht werden. Geahnt haben wir es schon, seitdem die technischen Möglichkeiten dazu vorhanden sind. Aber die Dreistigkeit der Amerikaner hat uns dann doch überrascht. Apple, Google und Microsoft versuchen seitdem, den Schaden zu begrenzen. Es hat keinen Sinn, das Vertrauen ist weg. Niemand wird uns mehr glaubwürdig versichern können, dass unsere Daten in der Cloud auch wirklich privat bleiben.
Vertrauen kommt von “trauen”, laut Duden ein “schwaches Verb”. “Vertrauen”, da schimmert noch das alte Wort “Traute” durch. Traute steht für Mumm, Mut und Kraft. Ganz im Vertrauen, ich bin da eher pessimistisch. Vertrauen ist die grundlegende Basis für alles nachhaltige Handeln in menschlichen Beziehungen und wenn dieses Vertrauen zerstört wird, kann eine Gesellschaft nicht mehr funktionieren.
Michael Stühr ist Geschäftsführer der MarkStein Software GmbH und Lehrbeauftragter an der Hochschule Darmstadt.