Hinter MIUs (Minimum Information Units, Verwertungseinheiten) steckt die grundlegende Idee, Inhalte durch Granulierung in kleinstmögliche Informationseinheiten digital besser für unterschiedliche Zielgruppen aufbereiten zu können. Mit der Nutzung von MIUs kann für digitale Inhalte die Reichweite und Sichtbarkeit effektiviert werden und dient als Vorstufe für den Verkauf von Artikeln, Dossiers oder ganzen Ausgaben. MIUs lassen sich insbesondere in Special-Interest-Verlagen als effektive Methode des Content Marketing einsetzen.
»Print and Forget«
Beim Publizieren in Verlagen findet derzeit ein Paradigmenwechsel statt, der durch den Rückgang der Auflage gedruckter Publikationen und die neuen digitalen Medien eingeleitet wurde. Dieser führt weg vom Denken in Erscheinungszyklen einer gedruckten Ausgabe (»Print and Forget«[1]) hin zur verwertungsorientierten und inhaltszentrierten Arbeitsweise des Content-Marketing. Die erweiterte Nutzung von Inhalten für mehrere digitale Ausgabekanäle wiederum hat starken Einfluss auf die Erstellung der Inhalte und die Methoden der Informationsverarbeitung in Verlagen. Das hier vorgestellte Konzept der Verwertungseinheiten, sogenannten »Minimum Information Units« (MIUs), stellt einen eleganten Weg dar, inhaltszentriertes Arbeiten und granulare Datenhaltung mit effektivem Marketing zu verknüpfen.
Publizistische Inhalte und deren Vermarktung
Sollen publizistische Inhalte vermarktet werden, so ist es in den Printmedien üblich, diese themengebunden als eine Anzahl von Dossiers mit jeweils mehreren Artikeln und Bildern aufzubereiten. Die so zusammengestellten Inhalte werden als Ausgaben in einem bestimmten Erscheinungszyklus angeboten. Da Printmedien die wesentlichen Umsatzträger der Branche[2] sind, hat sich auch im Zeichen des Internets und der digitalen Medien bisher nichts grundlegend an dieser Arbeitsweise geändert. Für ein systemisches Multi-Channel Publishing – die strukturierte Befüllung mehrerer digitaler Kanäle (und natürlich auch weiterhin Print) mit unterschiedlichen Inhalten – ist es aber erforderlich, die zweidimensionale Nutzung der Inhalte (Erstellen und Publizieren) durch eine zeitlich und inhaltlich mehrdimensionale Verwertung in einem Schichtenmodell (Bild 1) zu ersetzen.

Die zugehörigen Medienobjekte (Assets) werden hierarchisiert und als MIUs zusammengefasst und können dann in unterschiedlichen Zusammenstellungen ausgespielt werden.
In Zukunft bestimmt nicht mehr der Hersteller der Inhalte den Touchpoint, vielmehr entscheidet der Adressat selbst, auf welchem Kanal er die Inhalte nutzen möchte. Das führt zu einem neuen, inhaltszentrierten und medienübergreifenden Ansatz: Inhalte zu einem bestimmten Thema werden als eine Sammlung von kleinen Informationseinheiten geplant und erstellt. Diese kleinteiligen Informationen können dann sofort über die digitalen Medien (wie Firmenportale und soziale Netzwerke) ausgespielt und später zu Artikeln, Dossiers und Ausgaben zusammengestellt werden.
Minimum Information Units
Die kleinste Verwertungseinheit wird Minimum Information Unit (MIU) genannt. Sie kann aus mehreren Medienobjekten (Assets) wie Texten, Bildern, BUs, Videos etc. bestehen. Im Normalfall wird eine MIU einen Text und eines oder mehrere Bilder oder Videos enthalten. Die Medienobjekte werden dabei verwertungsgerecht zugeordnet und hierarchisiert. So ist immer sofort klar, zu welcher MIU welche Assets zugeordnet sind und die Übertragung in Empfängermedien wird dadurch automatisierbar. Während in Printmedien und auf Webseiten die Inhalte in einem semantischen Zusammenhang stehen und in ein Layout eingebettet sind, stellt die MIU eine semantische, aber kontext- und layoutfreie Zusammenstellung eines oder mehrerer Assets dar, die in unterschiedlichen semantischen Kontexten und Layouts verwendet werden kann.
Zusätzlich werden die MIUs mit Metadaten angereichert. Dazu gehört die Verschlagwortung mit (über SEO ermittelten) relevanten Begriffen oder über einen vorgegebenen Thesaurus.[3] Weitere Metadaten legen die Zielgruppe und die Ziele der MIU wie Reichweite, Sichtbarkeit oder Verkauf fest.
Als erstes werden die MIUs in sozialen Netzwerken zur Erzielung einer möglichst großen Reichweite und Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Thema publiziert. Hierbei werden keine Erlöse erzielt, es sei denn, die MIU wird geklickt und verweist auf ein Portal, das werbefinanziert ist. Erst wenn mehrere MIUs zusammen mit anderen Assets zu CIUs (Combined Information Units) zusammengestellt werden, können mit publizistischen Inhalten Erlöse erzielt werden. Das können einzelne Artikel, ein Dossier aus mehreren Inhalten zu einem Thema sowie eine gedruckte oder digitale Ausgabe sein. Die MIU leitet den Leser in diesem Fall auf die Firmenwebseite, auf der der Verkauf einer digitalen CIU erreicht werden soll. Die gedruckte Ausgabe ist bei dieser Arbeitsweise nur eine Zweit- bzw. nt-Verwertung, die zu einem späteren Zeitpunkt getätigt wird.
MIUs in der Praxis
Selbstverständlich kann man bei der Erzeugung von MIUs auch den klassischen Weg gehen und eine in Arbeit befindliche Print-Ausgabe in MIUs aufteilen. Diese Arbeitsweise wird einem angestammten Redakteur sicherlich näher sein.
Dazu wird eine äußere Struktur der Inhalte erzeugt, indem die Ausgabe in Ressorts und Rubriken unterteilt wird. In diesen werden dann die Themen angelegt. Unter einem Thema wird in diesem Zusammenhang eine CIU aus mehreren MIUs und eigenständigen Assets verstanden, also eine Sammlung von Artikeln und Assets zu einem inhaltlichen Kontext. Eine mögliche Aufteilung eines Themas in MIUs soll an einem praktischen Beispiel aus der Stiftung Warentest dargestellt werden, die ihre Inhalte bereits seit 2010 in MIUs aufspaltet und so getrennt nutzen kann.
Die Inhalte werden gesammelt, aufbereitet und strukturiert. Die oberste Ebene ist im Beispiel der Themenordner, der mehrere hierarchisierte MIUs und Assets enthält. Die MIUs sind hier immer Teil eines Themas und dienen dazu, die Inhalte für die Webseite und die sozialen Medien zu granulieren und strukturieren. Im Bild ist eine MIU das Interview mit dem zugehörigen Bild oder der Servicekasten zusammen mit einer Tabelle.
Messung der Informationswirkung von MIUs
Reichweite und Sichtbarkeit von MIUs können heute mit den am Markt befindlichen Tools gut gemessen werden. Ebenso gibt es einen Ansatz für die Ermittlung des monetären Wertes von MIUs. Dieser wird von Dr. Simon Geisler in einem Beitrag des Online-Mediums PR-Blogger ausführlich beschrieben: »Zur Wertbestimmung einer digitalen Information Unit nutzen wir die Werbepreise, die uns Google und die Sozialen Netzwerke liefern. Zugewiesen werden diese Preise auf Basis von Google Analytics-Daten bzw. auf Basis von Auswertungen mit einem SEO-Tool […] Jede Information Unit auf z.B. einer Firmen-Website generiert idealerweise Traffic über Google. Dieser Traffic entsteht durch Google-Rankings zu bestimmten Keywords. Diese rankenden Keywords lassen sich […] auslesen, ebenso der daraus generierte Google-Traffic. Diesen Traffic können wir anhand der von Google für Adwords auf die entsprechenden Keywords veranschlagten CPCs mit einer Bewertung versehen. Am einfachsten bilden wir dazu einen Durchschnittswert aus den CPCs der Keywords, zu denen der Artikel rankt. Auf diese Weise entsteht ein Wert, der in etwa dem SEM-Budget entspricht, welches das Unternehmen veranschlagen müsste, um in einem bestimmten Zeitraum, den in diesem Zeitraum generierten Traffic über Google AdWords einzukaufen.«[4]
Dies gibt allerdings noch keinen Aufschluss darüber, in welchem Maße durch MIUs Verkäufe von CIUs – publizistischen Inhalten wie Artikel, Dossiers und Print- oder Digital-Ausgaben – getriggert werden. Hierfür müsste man aus einer möglichst detaillierten Analyse der Digital-Umsätze und der Reichweiten ein Rechenmodell entwickeln. Erschwert wird dies einerseits dadurch, dass die Rezeption einer MIU nur in wenigen Fällen zu einer direkten Aktion führt und andererseits, dass sich bei einem Print-Anteil von mehr als 60 Prozent[5] zwischen Print-Verkäufen und digitalem Marketing keine aussagekräftige Korrelation herstellen lässt. So lassen sich bisher nur reichweitenbezogene Aussagen treffen, wie sie Gerrit Klein (Ebner Verlag) in seiner Präsentation auf dem ENC 2017 vorgestellt hat.[6]
Phatische MIUs – die Fake-News des Content Marketing
MIUs sollten sehr sorgfältig konzipiert und eingesetzt werden. Wie aus dem Schichtenmodell (Bild 1) ersichtlich ist, verweist eine MIU immer auf eine CIU mit einem höheren Informationsgehalt, die über einen Link erreichbar ist. Diese darf den Leser dann nicht enttäuschen. Daher muss eine „phatische Kommunikation“[7] auf jeden Fall vermieden werden. Sie dient lediglich zur Herstellung von Beziehungen („Hallo, wie geht es Ihnen?“) und transportiert keine relevanten Informationen. Über die sozialen Netzwerke haben inhaltsleere Mitteilungen ihren Einzug in die digitale Welt gehalten. Ein großer Teil der Kommunikation ist dort erfahrungsgemäß phatisch.[8] Ein äquivalentes Phänomen gibt es auch bei MIUs.
Eine MIU kann ebenso lediglich dem Zweck der Aufmerksamkeitserzeugung dienen. Dies ist der Fall, wenn in der verlinkten CIU – in der Regel ein Web-Artikel – keine für den Adressaten relevante neue Informationen enthalten sind und der Artikel im Wesentlichen zur Platzierung von Werbung dient. Für die professionelle Kommunikation sind phatische MIUs Gift. Sie verstopfen den Zugang zum Kunden durch überflüssige Nachrichten, die Unmut hervorrufen. Bei MIUs angewandt als Clickbait fühlt sich der Adressat zu Recht ausgetrickst. Was eigentlich markenbindend wirken soll, wird dann extrem markenschädlich.
Fazit
Durch den Einsatz von Minimum Information Units (MIUs) in Verlagspublikationen werden die Methoden des inhaltszentrierten Arbeitens und des Content-Marketing miteinander verbunden. Mehrere granulare Text- und Medienelemente (Assets) aus einem einzigen semantischen Kontext werden zu einer Verwertungseinheit zusammengefasst und zuerst einzeln publiziert. Die Nutzung von MIUs ist die Grundlage für ein effektives Multi-Channel Publishing, da diese in viele Kanäle ausgespielt, mehrfach eingesetzt und in vielen Kontexten zu CIUs zusammengestellt und vermarktet werden können.
Über den Autor
Dipl.-Ing. Michael Stühr vermittelt als Lehrbeauftragter den Umgang mit strukturierten Daten in mehreren Seminaren im Fachbereich Informationswissenschaft an der Hochschule Darmstadt und ist Geschäftsführer der MarkStein Software GmbH in Darmstadt.
Bisher erschienen in der Serie „Grundlagen“ folgende Texte:
- Teil 1) Grundlagen: Qual der Begriffe – Versuch einer Klärung
- Teil 2) Grundlagen: Systemarchitektur von Publishing-Systemen
- Teil 3) Grundlagen: Redaktionelle Prozesse
- Teil 4) Grundlagen: Crossmediale Funktionen
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Verweise
[1] „Verlagschef Gerrit Klein im Interview: Wie der Ebner Verlag redaktionelle Inhalte neu denkt“
https://kress.de/mail/news/detail/beitrag/135611-verlagschef-gerrit-klein-im-interview-wie-der-ebner-verlag-redaktionelle-inhalte-neu-denkt.html aus kress pro Dossier 5/2016
[2] VDZ Jahrespressekonferenz 2016
https:///www.vdz.de/nachricht/print/98/artikel/starke-steigerung-der-digitalreichweiten-und-solides-printgeschaeft-zeitschriftenverleger-sorgen
[3] kress pro Dossier 05/2017, Transformation im Fachverlag, S.12
[4] Klaus Eck, „Warum es Content Marketer nach wie vor schwer haben“, PR Blogger, 5/2016
https://pr-blogger.de/2016/05/18/warum-es-content-marketer-nach-wie-vor-schwer-haben
[5] VDZ Jahrespressekonferenz 2016
[6] Gerrit Klein: Die digitale Transformation eines Medienhauses, Vortrag auf dem European Newspaper Congress 2017
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Phatische_Kommunikation (16.11.2017)
[8] Vgl. Kai-Uwe Hugger (Hrsg.), Digitale Jugendkulturen, S. 158, Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
© Dipl.-Ing. Michael Stühr 2018. Dieser Artikel erschien zuerst im digital publishing report 2/2018, Seite 23. Der gesamte Text oder Teile des Textes dürfen nicht ohne Zustimmung des Autors weiterverwendet werden. Links auf diesen Blog sind aber willkommen.