Ein typografische Rezension des Buches »Feuer und Zorn« von Michael Wolff. Durchgeführt von Mike Böll.
»Gott grüß´die Kunst«. So grüßen sich SchriftsetzerInnen seit Jahrhunderten, auch die heute noch verbliebenen Exemplare dieser Gattung. Sie bezeichnen sich auch als die »Jünger Gutenbergs«. Besser sollte man sagen »bezeichneten«, denn diesen Beruf gibt es nicht mehr.
Diese Schriftsetzer*innen haben Bücher gesetzt. Bis zur Erfindung der Bleisetzmaschine haben die Setzer Buchstabe für Buchstabe zu Zeilen im Winkelhaken aneinandergereiht, ausgeschlossen und auf das Schiff gestellt. War die Seite fertig, wurde sie mit einer speziellen Schnur ausgebunden und zur Abzugspresse gebracht. Und das auch im Mengensatz bei Büchern. Der Abzug ging zum Korrektor, der Korrektur gelesen hat. War die Korrektur erledigt, hat der Drucker die Seiten ausgeschossen, danach ausgeschlossen und die einzelnen Bögen gedruckt, die der Buchbinder dann zu Büchern gebunden hat.
Bleisatz und Fotosatz
So ging das seit ungefähr 1450, als der Jahrhunderte später zum Mann des Jahrtausends ernannte Henne Gensfleisch, bekannt als Johannes Gutenberg, den modernen Buchdruck mit beweglichen Metall-Lettern und die Druckerpresse erfand. Ende des 19. Jahrhunderts verdrängte der maschinelle Bleisatz den Handsatz. Im Jahr 1960 wurde dann das erste Fotosatzgerät auf der Messe Drupa in Düsseldorf präsentiert, die Diatype der Firma Berthold. Die Handsetzer wurden fortan zu Fotosetzern.
Desktop Publishing
Die nächste Revolution begann Mitte der 80er-Jahre mit dem Desktop Publishing (DTP), das zum Niedergang und Verschwinden meines erlernten Berufs führte. Die Menschen, die den Satz für Bücher erstellen, heißen heute Mediengestalter Digital und Print – wenn es überhaupt noch ausgebildete Profis sind.
Es gibt aber doch noch ein paar überlebende Schriftsetzer*innen. Die sind zwar jetzt schon im fortgeschrittenen Alter, denn die Berufsbezeichnung und Ausbildung gab es auch noch nach dem Ende des Bleisatzes für die Fotosetzer. Diesen wurden in der Ausbildung Regeln und Vorschriften beigebracht, die eigentlich von Beginn an gültig sind und die man als Typografie bezeichnet.
Typografie
Typografie ist im traditionellen Sinne der Begriff für die Gestaltung von Druckwerken mit beweglichen Lettern. Sie sorgt dafür, dass der im Buch zu lesende Text ausgeglichen aussieht und gut lesbar ist. Dazu gehören gewisse Feinheiten und Regeln.
Hier sind drei Beispiele dieser Regeln, deren Nichtbeachtung zu unschönen Fehlern führt: Es sollten nicht mehr als drei Zeilen in Folge eine Silbentrennung am Ende der Zeile aufweisen. Auch sollten die Trennungen den Lesefluss nicht stören und nicht Silben, die nur aus zwei Buchstaben bestehen, alleine am Ende einer Zeile stehen. Das dritte Beispiel sind Hurenkinder und Schusterjungen. Ein Hurenkind ist die letzte Zeile eines Absatzes, die als erste Zeile oben auf einer neuen Seite steht. Der Schusterjunge ist die erste Zeile eines neuen Absatzes, die als letzte Zeile am Ende einer Seite steht. Also keine einzelnen Zeilen am Ende oder am Anfang einer Seite. Diese drei typografischen Grundregeln sollten ausreichen, um einen ersten Eindruck von der Qualität eines Satzes zu erhalten.
»Feuer und Zorn« als Beispiel
Ich habe mir ein aktuelles gebundenes Buch, das momentan in den Bestseller-Listen zu finden ist, näher angesehen. Es handelt sich um das Buch Feuer und Zorn von Michael Wolff. Es kostet im Online-Versand 20 Euro. Mein Exemplar ist aus der 4. Auflage und mit der Software InDesign gesetzt.
Satzspiegel
Der Satzspiegel (= bedruckter Raum auf der Seite) ist im sogenannten »Goldenen Schnitt« angelegt. Das heißt, dass die seitlichen, nicht bedruckten Ränder (Stege) zum Text in einem vorgegebenen Verhältnis stehen. Die Schriftwahl ist gut getroffen. Für die Kapitelüberschriften wurde eine serifenlose Schrift gewählt, der Fließtext wurde in einer serifenbetonten Schrift gesetzt.
Im einführenden Kapitel sind mir nur ein paar schlechte Trennungen aufgefallen. Aber schon auf Seite 26 stolpere ich über den ersten Schusterjungen. Auch sind im weiteren Verlauf immer wieder unschöne Trennungen zu finden. So kommt es vor, dass Eigennamen getrennt werden und sehr auffällig sind jene Trennungen, nach denen in der letzten Zeile eines Absatzes nur zwei oder drei Buchstaben stehen (Seite 63 [erster Absatz], Seite 94 [letzter Absatz], Seite 100 [2. Absatz] u. a.).
Immer wieder treffe ich auf Schusterjungen, insgesamt 39 auf 459 Seiten Text. Kein guter Wert, da manche dieser unschönen Stellen ganz einfach zu beheben gewesen wären. Hurenkinder waren allerdings keine zu finden.
Anwendungen
Mit der heutigen Technik und Anwendungsprogrammen wie Adobe InDesign, MarkStein tango oder Quark XPress lassen sich Hurenkinder und Schusterjungen leicht vermeiden. Im Bleisatz war das schwieriger, da man ja die Abstände innerhalb der Zeilen, also zwischen den Buchstaben, nur erweitern konnte. Da gab es »technologiebedingt« nicht die Möglichkeit, die Abstände zu verringern. Auch hatte man nicht die Möglichkeit, Buchstaben prozentual schmaler laufen zu lassen, was allerdings ein absolutes »No Go« guten Satzes ist.
Textlauf
Insgesamt ist der Text recht gut gesetzt, von den Trennungen mal abgesehen. Da sind 20 bis 30 Seiten, auf denen wenig zu beanstanden ist, gefolgt von mehreren Seiten, die durch unschöne Regelverstöße verschandelt werden. Es entsteht ein Muster, das darauf schließen lässt, dass der Satz vor dem ersten Korrekturlauf ganz passabel und korrekt war. Dann wurden die Korrekturen schnell ausgeführt, ohne aufs Detail zu achten und dadurch wurde das positive Gesamtbild verdorben.
Ich vermute, dass Zeitdruck das zerstörerische Element war, denn der Leser wartete schon auf die deutsche Übersetzung des Buches und der Verlag wollte es schnellstmöglich in den Verkauf bringen.
LeserInnen
Dem Leser, dem es mehr um den Inhalt als die Optik geht, sind die von mir kritisierten Punkte wahrscheinlich gar nicht aufgefallen. Und dem Setzer mag ich da auch keinen Vorwurf machen, denn Qualität ist immer eine Frage des Preises. Und die Preise, die die meisten Verlage externen Dienstleistern zahlen, sind – freundlich gesagt – erheblich zu niedrig.
Den Niedergang der Qualität sieht man auch daran, dass weitere typografische Regeln nicht beachtet werden. Zum Beispiel, dass man nie weniger als drei Zeilen eines Absatzes am unteren Ende einer Seite oder auf einer neuen Seite am Anfang stehen lassen sollte. Kein Muss, ist aber gefälliger fürs Auge. Des Weiteren sollten die letzten Zeilen in Absätzen zu mindestens zu einem Drittel gefüllt sein, siehe oben. Das ist aber alles nicht so leicht zu bewerkstelligen, benötigt Zeit und Feingefühl und ist manchmal auch gar nicht möglich.
Zeilensatz

Das Enthüllungsbuch über Donald Trumps Weißes Haus “Feuer und Zorn” gibt es seit Februar 2018 auch als Hörbuch exklusiv bei der Amazon-Tochter Audible zum Download.
Eine anderer Makel des Buches von Michael Wolff sind mehrere letzte Zeilen, die nur mit zwei oder drei Buchstaben eines getrennten Wortes gefüllt sind. Das tut weh. Ich denke, solche Dinge sollte man auf jeden Fall beheben.
Ich frage mich manchmal, wie haben die Bleisetzer das früher denn so gut hinbekommen, als Mengensatz noch per Hand erstellt wurde? Die wackeligen Zeilen, die jeden Moment umfallen konnten, raus aus dem Winkelhaken, auf das Schiff und die nächsten Zeilen in den Winkelhaken rein, korrigieren und wieder aufs Schiff usw. Beim Umbruch dann die gesetzten Seiten zusammenstellen und nach den typografischen Regeln zu bearbeiten. Was für eine Heidenarbeit! Waren die Setzer damals schon so schlecht bezahlt wie die Dienstleister heute? Sicherlich nicht. Schriftsetzer war ein angesehener Handwerksberuf, der hohes Ansehen genoss. Viele Künstler waren ausgebildete Schriftsetzer und Typografen. Zum Beispiel Paul Renner, Jan Tschichold, el Lissitzky, Max Bill und andere.
Buchware
Immerhin kann man sich fragen, warum die modernen Programme, mit denen man die Satzarbeit so schnell erledigen kann, nicht für die Verbesserung der Qualität eingesetzt werden. Die emotionale Antwort lautet, weil ein Buch heute einfach nur noch eine Ware ist und auch so behandelt wird. Das ist keine Kunst mehr und das spiegelt keine Kunstfertigkeit, womit ich wieder beim Gruß der Setzer vom Anfang bin.
Fazit
»Kunst« hat in der Setzer-Terminologie noch eine andere Bedeutung. Unter Schriftsetzergesellen lautete die Frage früher: »Hast du Kunst?«. Das bedeutete, »Hast Du eine Anstellung?«. Die automatischen Satzprogramme, die rüden Gepflogenheiten und die miese Bezahlung sind und haben keine Kunst. Und – wenn es nach mir geht – auch keine Zukunft.