Ein Gastbeitrag von Dr. med. Konstantin Passameras, niedergelassener Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Publizist (»Konfliktmanagement«, Carl Hanser Fachbuchverlag).
Die gegenwärtige Krise durch den Erreger SARS-CoV-2 ist nicht die erste und wird auch nicht die letzte Krise für unsere Gesellschaft sein. Gesellschaftskrisen entstehen nicht nur durch Krankheiten. Schwer lösbare politische Konflikte, Religionskämpfe und knappe Ressourcen sind einige weitere Ursachen. Unter Resilienz verstehen wir die psychische Widerstandskraft der Menschen. Sie resultiert aus verschiedenen Fähigkeiten und entscheidet wie gut die Einzelperson mit einer Krise zurechtkommen wird. In einer evolutionären Betrachtung lässt sich Resilienz als Summe der Anpassungsfähigkeiten des Individuums auf eine sich ändernden Umwelt verstehen.
Zahlreiche Forschungsergebnisse zur Resilienz liegen bei Kindern, Migranten und traumatisierten Menschen vor. In diesen wurde der Frage, was uns trotz erheblicher psychischer Belastung gesund hält, nachgegangen. Bei der Auswertung von 740 Studien kamen Bengel und Lysenko (2012) zu den folgenden entscheidenden Kriterien.
Resilienzfaktoren nach Bengel und Lyssenko
Optimismus |
Positive Vorstellung von der Zukunft |
Emotionsregulation |
Steuerung verschiedener Emotionen (Angst, Trauer, Schuld u.a.) |
Impulskontrolle |
Kontrolle über Handlungen (zurückhalten und aufschieben können) |
Empathie |
Einfühlen in Denken, Gefühle und Motive von Mitmenschen |
Kausalanalyse |
Verständnis und Analyse von Zusammenhängen |
Selbstwirksamkeit |
– Die Überzeugung sich helfen zu können – Die Kenntnis eigener Fähigkeiten |
Zielorientierung |
Das Erkennen und Verfolgen persönlicher Ziele |
Kausalanalyse
Einige Autoren benennen als weitere Kriterien Akzeptanz, Eigenverantwortung und Netzwerkorientierung. Wenn wir unter Akzeptanz die Bereitschaft verstehen, das hinzunehmen, was bereits eingetreten ist oder sich nicht ändern lässt, ist die Zuordnung zur Kausalanalyse möglich. Die Übernahme von Eigenverantwortung und das Verlassen einer Opferrolle setzt wiederum Selbstwirksamkeit voraus. Als interessanter und zu beleuchtender Faktor bleibt die Netzwerkorientierung.
Spitzer (2016) beschreibt die Einsamkeit als vielfach unterschätzten Faktor, der über den Verlauf von Krankheiten entscheidet. Menschen mit einem wenig ausgeprägten sozialen Netzwerk neigen zu chronischeren und schwereren Krankheitsverläufen von psychischen und körperlichen Erkrankungen. Ein Stärkeideal, bei dem wir keine Mitmenschen brauchen, geht eher an unserer Natur vorbei. In der Evolution konnten Gefahren und Gegner immer besser innerhalb der Gemeinschaft bewältigt werden. Wer will schon allein gegen den Tiger kämpfen?
Wie sollten wir uns in Krisen verhalten?
Eine gute Psychohygiene setzt ein günstiges Verhältnis zwischen positiven und negativen Gedanken und Emotionen voraus. Nach Fredrikson (2013) sollte Positiv gegen Negativ 3:1 gewinnen. Während Befürchtungen und Sorgen überall frei erhältlich sind, werden die positiven Gedanken und Emotionen derzeit immer wertvoller. Zu den positiven Emotionen zählt man Freude, Dankbarkeit, Gelassenheit, Begeisterung, Hoffnung, Liebe, Ehrfurcht, Heiterkeit, Interesse und Stolz. Warum nicht etwas mehr von dieser Sorte pflanzen? Die Ernte wird positiver ausfallen.
Dort wo Sorgen und Ängste gegenwärtig sind, wollen diese reguliert werden. Zu viele redundante Informationen über den Zustand in der ganzen Welt können rasch zur Überforderung Aller führen. Wenn alles wichtig ist, ist am Ende gar nichts wichtig. Eine Begrenzung auf die persönlich wichtigen Nachrichten ist sinnvoll. Als sokratisches Sieb ist folgender Ansatz sinnvoll, bevor wir eine Nachricht weiterverbreiten.
- Ist die News-Quelle zuverlässig und habe ich den Wahrheitsgehalt geprüft?
- Besteht eine Notwendigkeit für die Nachricht?
- Dient die Nachricht einem gütigen Zweck?
Falls nicht, sollten wir keine Gerüchte in Umlauf bringen. Einen kühlen Kopf bewahren beinhaltet auch katastrophisierende Gedanken beherrschen zu können. Befürchtungen jeglicher Art sind erlaubt, sie sind aber keine Tatsachen. Wir können sie kontrollierbar machen durch beruhigende, alternative Gedanken und zugleich wirksame Maßnahmen zur Vorbeugung erarbeiten. Beruhigende Gedanken können Vorstellungen derart sein, dass auch diese Krise ein Ende haben wird. Vielleicht setzen wir uns gar eine zeitliche Vorstellung, wann es geschafft ist. Aus der Stressforschung von Selye (2013) ist bekannt, wie wichtig auch unsere Bewertungen für das resultierenden Stresserleben sind. Wir können besser mit Stress umgehen, wenn eine zeitliche Befristung der Belastung und eine Sinnhaftigkeit gesehen werden. Eine mögliche Ausgangsbegrenzung sollte nicht als Strafe oder Zumutung, sondern als vorübergehende sinnvolle Maßnahme zum eigenen Schutz bewertet werden. Es ist ferner Ausdruck der Hoffnung, sich vorzustellen, welche Aktivitäten wir wieder mit großer Freude unternehmen werden. Vieles was jetzt aufgeschoben wird, wird später mit noch größerer Freude gemacht werden.
Quellen:
Bengel, J., & Lyssenko, L. (2012). Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter: Stand der Forschung zu psychologischen Schutzfaktoren von Gesundheit im Erwachsenenalter. BZgA Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung.
Fredrickson, B. L. (2013). Positive emotions broaden and build. In Advances in experimental social psychology (Vol. 47, pp. 1-53). Academic Press.
Selye, H. (2013). Stress in health and disease. Butterworth-Heinemann.
Spitzer, M. (2016). Einsamkeit–erblich, ansteckend, tödlich. Nervenheilkunde, 35(11), 734-741.