Mit der RTL-isierung von Gruner + Jahr ist das Verlagshaus auf der Zielgeraden Richtung Bedeutungslosigkeit. Das Unternehmen, eines der drei Flaggschiffe des Verlagsstandortes Hamburg und hanseatisches Urgestein, ist seit Jahren in einem Downsizing-Prozess, vielleicht angeregt durch die Lektüre der hauseigenen Fachmagazine hygge und Flow.
Während die ZEIT von Erfolg zu Erfolg eilt – wer hätte das gedacht oder gar prophezeit? – und der Spiegel immerhin eine schmerzhafte Metamorphose nach der anderen halbwegs übersteht, darf Stefan Winterbauer in Meedia unwidersprochen und nicht unbegründet den Stern heute „dösig“ nennen. Die aktuell amtierenden Stern-Chefredakteure sollen die Idee gehabt haben, die beiden Stern-Ressorts Politik und Wirtschaft in die Hände der Berliner Kollegen von Capital und Business Punk zu legen. Politik und Wirtschaft! Gruner + Jahr, das war einmal der verlegerische Platzhirsch für themenzentrierte Publikationen, die intelligent breiter aufgestellt waren als klassische special-interest-Titel.
Stets war der Anspruch maßgebend, den jeweils meinungsführenden Titel einer Kategorie anbieten zu können; jeder dieser Magazintitel erfüllte den Anspruch und definierte den State of the Art seiner jeweiligen Kategorie. Alle diese Magazine waren geprägt vom Grundgedanken erfolgreichen Blattmachens, den der Erfinder des Stern, Henri Nannen, präzise auf den Punkt brachte: Eine gute Illustrierte, ein gutes Magazin müsse eine „Wundertüte“ sein. Nicht einmal, sondern immer und immer wieder. Damit war eine äußerst attraktive Mischung von erwartbaren und überraschenden Inhalten gemeint, von Orientierung gebenden Strukturen und völlig Neuem.
Dies setzt aber Redaktionen voraus, die frei und selbstbewusst ihre Spielwiese kennen, pflegen und ausreizen, manchmal auch überreizen. Knorrige, oftmals knurrige Kerle (und Frauen, aber die Alliteration verlangt Opfer) vom Hamburger Affenfelsen machten aus dem Stern ein ernstzunehmendes Medium: investigativ, meinungsstark, großartige Reportagen, wunderbare Bildstrecken und erfolgreiche Unterhaltung. Sie verantworteten allerdings auch den größten GAU des bundesrepublikanischen Verlagswesens – die Hitler Tagebücher. Und grenzwertige Titel wie Barschel in der Badewanne. Dies ist alles sicher auch einer gewissen Hybris geschuldet, dass man einfach die besten Magazine mache…
Doch dann übernahmen die Profit- und Prozessoptimierer. Mag sein, dass die Prozesse smarter geworden sind; sicher ist, dass die Profite ausblieben. Nicht, dass wir uns missverstehen: Gute Inhalte müssen gut verkauft werden. Aber eben in dieser Reihenfolge. Das setzt das Primat der Blattmacher voraus. Mit Zentralredaktionen aber werden Compliance-geleitete Zentralorgane entstehen – Programmies fürs RTL-Sendeschema?
Thomas Thelen, Thelen PR – Public Relations and Communications Consultant