Wie können wir lernen? Was sollen wir lernen? Welche Möglichkeiten gibt es, besser zu lernen? Wenn wir die Arbeitsweise unseres Gehirns, unseres biologischen Supercomputers, besser kennen, können wir natürlich auch besser lernen und gezielt leichter, schneller und effektiver lernen. Deshalb hier ein paar der wichtigsten Dinge:
Bei der Geburt hat jeder Mensch, der auf dieser Welt geboren wird, das blanke Potenzial seines Lernsystems, mit dem er in der Kultur oder in das System, in das er hinein geboren wird, alle Möglichkeiten hat, dieses Gehirn dann entsprechend zu formen.
Das heißt im Klartext, unser gesamtes Nervensystem ist bei der Geburt schon vorhanden, aber eben noch nicht vernetzt und nicht entwickelt. Wenn man einen Schnitt durch ein Gehirn machen würde, dann hätte man bei dem Neugeborenen ganz viele Nervenzellen, aber kaum Verknüpfungen. Die ersten Verknüpfungen bilden sich zwar schon im Mutterleib, aber hauptsächlich dann nach der Geburt und im ganzen Kindesalter. Denn dann geht es richtig zur Sache, und zwar sehr zielgerichtet.
Die Art, wie Kinder lernen: neugierig, immer wieder neu probierend und wiederholend, all diese Dinge sollten wir uns gut für das gesamte Leben merken, denn all das verlernen wir ja leider wieder.
Es hat sich gezeigt, dass so, wie Kinder lernen, am effektivsten für unser Lernsystem ist. Das heißt instinktiv wissen Kinder genau, wie sie am besten an das Rüstzeug, Wissen und die Lerneffekte kommen, die sie brauchen. Sie brauchen das Lernen natürlich in erster Linie fürs Überleben, dann aber natürlich auch für die Kommunikation und für die Interaktion mit Gleichaltrigen.
All das wird gelernt, und zwar auf eine Art und Weise gelernt, die sehr effektiv ist. Nämlich: Immer wieder ausprobieren, wiederholen, nie aufgeben, immer wieder anders probieren und das Ganze auch mit viel Emotion.
Kinder haben sehr starke Emotionen und vor allem bewegen sie sich. Das heißt, der gesamte Körper wird eingesetzt. Zusammenfassend: neugierig, immer wieder anders, immer wieder neu, immer wiederholend, in Bewegung und es wird nicht aufgegeben.
Oder haben Sie schon mal ein Kind gesehen, das am Ende nicht laufen konnte? Kinder stehen immer wieder auf, es wird noch mal probiert, auch mal geweint, ein Kind ist auch mal frustriert, aber es wird mit Sicherheit wieder versuchen aufzustehen – nach einer kleinen Mini-Erholungsphase. Vor allem wird bei allem Lernen der Körper eingesetzt. Das ist auch ein riesiger Unterschied zu dem, wie wir Erwachsenen am Ende des Tages versuchen, irgendwelche Dinge zu lernen.
Aber bleiben wir noch mal beim Kindesalter. Auch hier kann man ganz klar Reize setzen, die Kinder dann entsprechend in die Dinge einweisen, so dass sie das lernen, was wichtig für die Gesellschaft und für die verschiedensten Kulturen ist, und das wird entsprechend vorgegeben.
Das heißt, im Kindesalter lernt das Kind die Grundlagen für das Überleben, für das Zusammenleben und für das Kommunizieren in der entsprechenden Kultur. Sowohl die positiven Dinge, die sie lernen und natürlich auch das, was sie adaptieren, womit wir uns später dann immer wieder rumschlagen dürfen, also auch die entsprechenden negativen Dinge.
Das kleine Kind in uns bleibt ja mit allen Vor- und Nachteilen erhalten, aber vor allem, dafür plädiere ich, wie Sie schon unschwer merken, die positiven Dinge, die für das lebenslange Lernen wichtig sind – wie Neugierde, Wiederholung, Körpereinsatz und Emotion –, daran sollten wir uns immer wieder gerne erinnern. Denn das hilft auch bei den Dingen, die dann vielleicht später nicht mehr so passen, wie bestimmte Glaubenssätze, die wir gelernt haben oder Voraussetzungen, von denen wir automatisch ausgehen, auch das kann dann noch einmal aktiv überprüft und ggf. verlernt werden.
Diese Kindertools des Lernens, wie ich sie nenne, sollte man sich immer wieder vergegenwärtigen, denn vieles haben wir in der Schule wieder verlernt. Der nächste Schritt nach der Kindheit ist die Schulausbildung und dort wird ein gewisses Korsett angelegt und eine bestimmte Art des Lernens präferiert. Wir lernen zielgerichtet für eine Klausur, wir lernen auswendig, wir lernen Dinge, bei denen wir nicht so wirklich einsehen, warum wir die jetzt eigentlich wissen sollten und es wird spezifisch auch für einen bestimmten Zeitpunkt gelernt.
Dieses Lernen für eine Klausur – alles wieder vergessen – Stopp – von neuem. Es wird in der Regel wenig Freiraum gegeben. Klar, jeder hat schon die gesamten Schulkritiken aufgenommen und wir wissen alle, dass die Schule nicht mehr den Anforderungen unserer derzeitigen Gesellschaft entspricht. Deshalb geht es darum, mit Engagement umzusetzen, dass dort Reformen passieren, aber dabei eben nicht zu vergessen, was eigentlich in unserem Gehirn möglich ist.
Denn da wird vor allem nach dem wirklich wichtigen, nach sinnvollen energiesparenden Tools geforscht. Gerade heute werden andere Fragen gestellt, die für einen Erwachsenen beziehungsweise für die eigene Lebensplanung sinnvoll sind.
Dieses „Fürs Leben Lernen“ beziehungsweise „Was mache ich eigentlich aus meinem Leben?“ „Was will ich eigentlich?“, und „Was will ich lernen?“ – „Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten brauche ich, um das Leben zu führen, das ich führen will?“, das sind die Fragen, die dann meistens nicht beantwortet werden.
Da würde ich gerne ansetzen. Weil wir die Grundlage haben, dass das Gehirn alles lernen kann. Klar, es gibt natürlich Talente, aber grundsätzlich wird der Fleiß, die Disziplin, die Kontinuität dem Talent immer überlegen sein. Dafür gibt es auch zahlreiche Studien als Beweis.
Das heißt, eigentlich ist die Grundfrage, die jeder sich stellen sollte, herauszufinden, wofür bin ich eigentlich gemacht, was ist meine Freude, wo habe ich Spaß, Dinge zu tun und diese umzusetzen, wo merke ich, dass meine Augen leuchten und dass mein ganzer Körper sich für dieses Lernen begeistern kann? Genau da setzt ja dann auch der Lerneffekt ein, den ich neben den „kindischen Lernformen“ festhalten möchte. Was ich mitgeben möchte, ist, dass da, wo die Freude und positive Emotionen sind, auch die Energie aufgebracht wird, die das Gehirn braucht, um neue Dinge zu lernen.
Logischerweise sind alle Systeme, auch die biologischen, darauf ausgerichtet, möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Das heißt, wir bleiben gerne auf dem Status Quo hängen. Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, kostet das immer wieder Energie. Und dazu brauchen wir und unser Gehirn einen guten Grund. Die grundlegende Frage, die wir uns stellen müssen, ist deshalb, wie wir eigentlich unser Leben leben möchten. Wo möchte ich wirklich hin? Was macht mir Spaß? Wie kann ich dazu herausfinden, was der Sinn meines Lebens ist oder sein kann oder wo meine Berufung, die ja heute auch in aller Munde ist, wo meine Berufung eigentlich liegt. Auch das ist etwas, was nicht von heute auf morgen passiert – es ist ein Entwicklungsprozess.
Dr. Maria Hoffacker, Expertin für Neuroscience und Nachhaltigkeit