Das zweite Corona-Jahr geht zu Ende. Ein weiteres Jahr, in dem uns schmerzlich vor Augen geführt wurde, was wir schon lange wissen: Wollen wir in unruhigen Zeiten als Team, Abteilung, Unternehmen erfolgreich sein, so haben wir uns schnell anzupassen.
Doch obwohl über diese simple Erkenntnis schon lange Einigkeit herrscht, erwischte (und erwischt) die Pandemie uns in unseren Firmen und Organisationen auf dem falschen Fuß. Warum?
Weil die meisten von uns in der Vergangenheit versäumt haben, das zu tun, was es braucht, um sich als Organisation anzupassen: Lernende Strukturen schaffen.
Doch Moment! Haben wir nicht in Windeseile Gerätschaften, PCs, Smartphones, Tablets organisiert? Was ist mit den digitalen Kollaborations-Tools, die wir hektisch angeschafft, installiert und unter Hochdruck zu nutzen gelernt haben?
Klar, die richtige Ausstattung ist für jede Arbeit eine notwendige Voraussetzung. Eine Sache ist vorher aber wichtiger: Darüber zu sprechen, wann man sie wie einsetzt und vor allem: warum? Zu Recht heißt es: »A fool with a tool is still a fool.«
Wie kommen wir also zu lernenden Strukturen? Wie finden und etablieren wir sie? Wie helfen uns hier unsere Tools und unser Know-how?
Im Grunde ist es einfach: Lernen bedeutet, Erfahrungen zu machen, zu verarbeiten und sie – im besten Falle – zukünftig gewinnbringend für das zu nutzen, was man grundsätzlich erreichen will.
Wer sich, Teams, Abteilungen und Organisationen dauerhaft anpassungsfähig machen und also organisatorisches Lernen ermöglichen möchte, hat also schlicht dafür zu sorgen, dass seine KollegInnen, MitarbeiterInnen und vielleicht auch InhaberInnen und KundInnen regelmäßig gemeinsame Erfahrungen machen KÖNNEN und dies auch TUN. Dazu sind ihre Erfahrungen gemeinsam und zielgerichtet auszuwerten, ihre gemeinsam gewonnenen Erkenntnisse für die nächste Lernerfahrung zu nutzen – für ihren nächsten (Lern-) Erfolg, also ihre nächsten gemeinsamen Erfahrungen.
Lernen leicht gemacht
Es wundert ein bisschen, dass wir nicht schon längst allerorten so, also lernend, organisiert sind. Denn schon lange vor Corona waren die Geschäftserfolge lernend organisierter Unternehmen für buchstäblich jedermann sichtbar (zum Beispiel in Form allgegenwärtiger Amazon-Päckchen) – und für viele ein sehr ernstzunehmendes Marktphänomen.
Wer wollte, hätte also längst schon sehen können, wie allgemein wichtig, sogar überlebenswichtig Lernstrukturen für Organisationen sind. Und sei es nur, um die eigene Marktposition abzusichern. Man hätte es auch sehr leicht gehabt. Denn längst schon gab es erprobte, konkrete, leicht umsetzbare Ansätze, Organisationen lernend ausrichten.
Warum waren wir dann nicht lange vor Corona schon allerorten entsprechend organisiert, also z.B. in unseren Schulen, Universitäten, Teams, Firmen und staatlichen Institutionen? Was hält uns heute – spätestens nach diesen durchwachsenen Corona-Erfahrungen – allgemein davon ab, unsere Zusammenarbeit so zu organisieren? In unseren Familien, Kindergärten, Schulen, Ausbildungswerkstätten, Universitäten, Verwaltungen, Behörden, Vereinen, Teams, Abteilungen, Firmen?
Könnte es sein, dass wir noch immer nicht an den Erfolg organisatorischen Lernens glauben (wollen)? Schließlich dürfte die oben genannte Definition von Lernen (besonders auch des gemeinschaftlichen Lernens) und der empfohlene Dreischritt unserer persönlichen und gesellschaftlichen Lebenserfahrung widersprechen?
In Schule und Ausbildung bedeutet Lernerfolg und Erfolg nämlich nach wie vor, in Prüfungssituationen einen vorgegebenen Lernstoff auf den Punkt genauso wiedergeben zu können, wie es die Prüfungsordnung vorsieht. Gelingt uns das, erhalten wir gute Zensuren. Bildungsstätten verlassen wir als maximal gut zertifizierte Fachexperten, um unser Geld damit zu verdienen, Wissen und Können zielgerichtet einzusetzen. Und das bedeutet, so, wie wir es gelernt haben, vor allem also: Wie es von uns verlangt wird.
»Hierarchie hilf!«
Das alles verinnerlichen wir im alltäglichen sozio-psychologischen Spiel, also im Tun. Wir üben, wie das persönliche und gesellschaftliche Erfolgsmuster aussieht. Es ist mit »Command and Control« gut beschrieben: Besser ausgebildete Menschen sagen anderen, was sie zu tun haben, und kontrollieren danach die Umsetzung. Das – so lernen und verinnerlichen wir – ist für den Gesamterfolg unbedingt notwendig.
Denn: Alle (!) profitieren davon (mutmaßlich), also sowohl einzelne und die Gemeinschaft. So kommt es, dass z.B. einzelne BeamtInnen und Gremien in Ministerien Lehrpläne verfassen, die LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern dann umzusetzen haben. LehrerInnen sagen ihren SchülerInnen, wie sie was zu tun haben und geben anschließend für die Resultate entsprechende Zensuren. ManagerInnen oder Managementgremien erstellen Business- und Projektpläne, die Firma und Projektteams dann zu erfüllen haben. IngenieurInnen entwickeln Verfahren, die FacharbeiterInnen dann umsetzen, etc.
Weil wir uns hierzulande allgemein so organisieren (das auch schon lange und bislang augenscheinlich erfolgreich), lernen wir also, dass an verschiedenen Positionen unserer Organisationen Spezialisten oder Spezialistengremien sitzen und sitzen müssen, die aufgrund ihrer Expertise und ihres Amtes für gute und richtige Entscheidungen sorgen. Und wir lernen auch: Um deren Entscheidungen haben wir uns nicht zu kümmern. Wir haben unseren eigenen klar umrissenen Verantwortungs- und Aufgabenbereich.
Der Mensch, ein Gewohnheitstier
Lange war diese hierarchische, auf die Fachkompetenz und Entscheidungsgewalt des Einzelnen abzielende Form der Wissensvermittlung, Aufgabenverteilung und Organisation auch tatsächlich ein Garant für stabilen Erfolg. Und ohne Zweifel tut sie in vielen Bereichen noch immer gute Dienste und wird dies auch noch eine Weile tun.
Spätestens aber seit ein Industriezweig nach dem anderen vor allem digital herausgefordert und umgekrempelt wird, und allerspätestens seit Corona, sehen wir mit wachsender Bestürzung, dass dieses Erfolgsmodell der Vergangenheit an gefährliche Grenzen stößt.
Das jedoch liegt weniger daran, dass hierarchische Denk-, Handlungs- und Lernmuster per se unwirksam oder schlecht wären. Vielmehr passen sie eben nicht so gut auf die veränderten Umstände und dynamische Situationen, mit welchen wir es heute zu tun haben. Sie sind unstet, unsicher und dadurch weniger planbar.
Das heißt, dass sich die Spielregeln ständig verändern. Und zwar immer schneller und ohne, dass man gut vorhersehen oder gar konkret mitbestimmen könnte, wie.
Für einzelne Menschen, Teams, Firmen und sogar ganze Gesellschaften bedeutet das, dass sie heute anders und schneller, gleichzeitig aber immer noch gut (re-)agieren, also vor allem: im übergeordneten positiven Sinn der gesamten Unternehmung entscheiden müssen.
Dazu sind gute Tools zur Kollaboration wie z.B. Videokonferenzen und eine stabile Internetleitung natürlich wichtig.
Aber entscheidend und deshalb viel wichtiger ist, dass wir alle die vielen relevanten Ereignisse schnell bemerken, bewerten und rechtzeitig gute Entscheidungen treffen.
Hierarchische Ansätze und Strukturen sind dazu zu langsam, zu starr, zu undurchlässig. Zumindest vergleichsweise. In jedem Fall sind sie undurchlässiger und langsamer und weniger leistungsfähig als ihre agilen Pendants.
Wichtiger aber noch ist (und wie man sieht, manchmal sogar buchstäblich fataler), dass es einzelnen Schaltstellen in Hierarchien nicht in den Sinn kommt und auch untersagt ist, Entscheidungen zu treffen, die über den fest abgegrenzten Bereich, den viel zitierten Silo, hinausreichen.
So haben wir es von Kindesbeinen an gelernt und bis ins Berufsleben eingeübt. Und das gilt auch heute noch. So fällt es uns allgemein schwer, hierarchische Denk- und Handlungsmuster zu verlassen und uns selbstorganisierte Strukturen zu geben.
Also vertrauen wir weiter darauf, dass Probleme besser mit neuen Tools gelöst werden können. Und auf die Idee, dass in unserer Hierarchie die zuständigen Spezialisten schon rechtzeitig erkennen, dass sie eine Entscheidung zu treffen haben. Und darauf, dass sie diese Entscheidung auch rechtzeitig gut treffen.
In diesen allgemein unsteten, unsicheren, dynamischen Zeiten könnte das ein riskantes Spiel sein. Wäre es da nicht besser, dass wir Lernstrukturen etablieren? Wo wir doch wissen, es jeden Tag aufs Neue erfahren, dass es anders nicht mehr geht?
Edgar Rodehack ist Teamwork-Enthusiast mit einem Faible für agile Formen der Zusammenarbeit. Da trifft es sich natürlich gut, dass er das beruflich macht. Er ist Organisationsberater, Business und Agile Coach, Teamentwickler und Moderator. Außerdem ist er Blogger und Podcaster. Und er ist ein Mensch mit Frau und drei Kindern, der viel Spaß am Musikmachen, Schreiben und Lesen hat.