Von Jonas Navid Al-Nemri
Die Buchmesse steht vor der Tür, Blätter färben sich und fallen, erste Lebkuchen im Supermarkt: Märchen Vibes. Ach schön! Und Grimms Schneewittchen ist nicht nur ein besonders schönes Märchen, es hat tatsächlich auch etwas mit Trend & KI zu tun.
»Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Die Frage der bösen Stiefmutter an ihren magischen sprechenden Spiegel ist nicht nur ein zentrales Motiv des Märchens, sondern im Grunde Trendmonitoring und Business Intelligence anno 1812. 210 Jahre später könnte die Frage so lauten: »Spieglein, Spieglein an der Wand, welche Trends beeinflussen das Land?«
Scout! Monitor! Forecast!
Die Möglichkeit, auf aktuelle Marktentwicklungen zu reagieren und Publikationsentscheidungen anhand von Trends zu treffen: dazu verhelfen nicht mehr nur magische Spiegel, sondern auch erfahrene Trendscouts, Marktforschungsagenturen oder digitale Tools. So sind Unternehmen heutzutage in der Lage, bestehende Trends aufzuspüren (scouting) und zu überwachen (monitoring). Der Knackpunkt ist jedoch, dass ein Trend oft erst als ein solcher erkannt wird, wenn er bereits vorhanden und ein entsprechender Impact am Markt sichtbar ist.
Je nachdem, wie agil interne Entscheidungs-, Herstellungs-, und Vertriebsprozesse aufgestellt sind, kann der Trend also bereits verschwunden sein oder den Zenit überschritten haben, wenn beispielsweise Medien- und Verlagshäuser mit einem Produkt oder einer Publikation in den Trend eintreten. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, wird anhand von Daten versucht, Dauer, Intensität und Entwicklung des Trends zu berechnen (forecast). Kurz gesagt: es genügt also nicht, einfach nur die Frequenz von Suchbegriffen im Auge zu behalten.
Trendprediction (Ja, das klingt ein wenig nach Hari Seldon)
In der Soziologie und Trendforschung unterscheidet man häufig zwischen Mikro-, Makro- oder Megatrends. Was sie gemeinsam haben: sie entstehen nicht einfach. Ihre Entstehung und Verbreitung lassen sich diagnostisch anhand bestimmter Faktoren beobachten. Entscheidend ist also, diese darunterliegenden Marker zu kennen und zu beobachten und nicht allein den darüberliegenden Trend. Aufgrund der Komplexität und der Vielzahl der auszuwertenden Daten ist der Einsatz künstlicher Intelligenz eine Voraussetzung, um diese Faktoren zu identifizieren und die daraus resultierenden Dynamiken zu verstehen. Überwacht man diese Faktoren kontinuierlich mit schlauen Algorithmen, so lassen sich nicht nur Muster erkennen, die für das Verständnis der Struktur neuer Trends wichtig sind, sondern auch die Fähigkeit, Ausschläge und Anomalien dieser Marker früh zu registrieren und damit potenzielle Trends vorherzusagen.
Von »late as usual« zum Trendsetter: Um diese Erkenntnisse im Sinne der Business Intelligence nutzen zu können, ist jedoch die Entwicklung weiterer, spezifischer KI-Modelle notwendig, die nicht nur gesellschaftliche Trendbewegungen verstehen, sondern gezielt auf für das Unternehmen relevante Trendthemen, Emotionsprofile und die Bedürfnisfelder seiner Zielgruppen trainiert sind. Die Frage muss also vor allem lauten: »Spieglein, Spieglein an der Wand, welche Themen, Emotionen und Bedürfnisse beeinflussen das Land?«
It will change the game! Denn Verlage und Medienhäuser gelangen dank der technologischen Entwicklung im Feld der künstlichen Intelligenz in die Situation, Trendsetter zu werden, aufkeimende Trends aktiv mitzugestalten und frühzeitig an ihnen zu partizipieren.
Und die Moral von der Geschicht‘: Ohne responsible AI geht es nicht
Schneewittchens Stiefmutter nutzt den magischen Spiegel mit unlauteren Absichten, Hari Seldon skizziert in Asimovs Foundation-Zyklus, dass die Psychohistorik in der Lage ist, gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen – wenn wir also über die Möglichkeiten von Trendprediction mit künstlicher Intelligenz sprechen, dann muss immer auch gefragt werden, welche gesellschaftliche Verantwortung man trägt und in welchem Bereich man sie einsetzt. Damit sind Technologieunternehmen wie auch Verlage und Medienhäuser gleichermaßen gefordert: Welchen Trend wollen wir setzen und auf welchen Trend springen wir auf?
Jonas Navid Al-Nemri ist Gründer und Managing Partner bei Scriptbakery AI.