Ein Gastkommentar von Mirko Lange
Wir haben ein unfassbares systemisches Medien-Problem. Das wird in den letzten Wochen und Monaten immer deutlicher.
Das Problem: In den Medien wird systemisch desinformiert und verzerrt. Dadurch entstehen alternative Wirklichkeiten. Diese alternative Wirklichkeiten prallen immer stärker aufeinander und verhärten zu konkurrierenden Wahrheiten. Und das führt dazu, dass wir uns immer weniger einigen können.
Und ich ergänze (weil es viele missverstehen): Ich verwende »Medien« nicht synonym zu »Journalisten«. Journalisten sind Teil des Systems. Sogar ein ganz wichtiger. Aber eben nur ein Teil. Dazu gehören auch Redaktionen, Verlage, Blogger, Soziale Netzwerke aber auch die einzelnen aktiven Nutzer der sozialen Netzwerke. Sie alle ergeben »die Medien«.
Das Problem an diesen »systemischen Problemen« ist, dass die Einzeln:e kaum etwas machen kann. Man ist gleichzeitig Opfer und Täter. Bis auf einigen wenigen, kann man niemandem etwas wirklich vorwerfen. Und es ist unfassbar anstrengend, das System zu durchbrechen. Also ich habe 25 Jahre Erfahrung, bin leicht überdurchschnittlich intelligent und verfüge über viele Tools – aber es ist für mich immer wieder viel Arbeit und kostet viel Zeit, hinter die Dinge zu steigen.
Ich will hier mal einfach ein paar Beobachtungen gelistet, um die ganze Komplexität anzudeuten. Vielleicht verarbeite ich das irgendwann noch mal, um auch die Zusammenhänge aufzuzeigen. Also den ganzen wirtschaftlichen Druck, die Komplexität, die Geschwindigkeit.
Und definitiv will ich das nicht an Kritik an Einzelnen verstanden wissen (bis auf ein paar Ausnahmen). Ich weiß, dass viele Journalist:innen unter der Situation leiden. Ich will es trotzdem benennen.
JOURNALIST:INNEN
Es gibt einerseits wirklich gefährliche Menschen in den Medien, wie Ulf Poschardt, den Chefredakteur der WELT, die gezielt und vorsätzlich desinformieren und verzerren. Der Mann ist alles zusammen: Skrupellos, geldgierig, klug, geschickt, reichweitenstark und ideologisch geprägt. Ich bezeichne sie als “gefährlich”, weil man nicht gleich erkennt, wie manipulativ sie sind.
Dann gibt es definitiv skrupellose A****hmedien, wie die BILD, die Desinformation und Verzerrung schon immer zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben. Von denen weiß man das, sie finden aber immer noch (oder schon wieder) ein Publikum, bei dem die Desinformation und Verzerrung verfängt. Sorry, für den Ausdruck, aber was die BILD tut, ist in meinem Wertesystem auf das Höchste verwerflich.
Dazu gibt es immer mehr “Sekten-Medien”, also abtrünnig gewordene Journalisten [spezifisches Maskulinum], die früher mal Journalisten waren, sich aber dann losgelöst, mit eigenen Medien radikalisiert und an den (vor allem) rechtspopulistischen Rand begeben haben, zum Beispiel Roland Tichy, Hendrik M. Broder. Dabei gehört die Radikalisierung auch zum Geschäftsmodell. Sie bedienen eine ganz spitze Zielgruppe und verdienen gut Geld damit. Weiterhin haben wir ehemals sehr seriöse Medien, wie z.B. die NZZ oder die FAZ, die in vielen Bereich immer noch sehr guten Journalismus betreiben, aber thematisch und inhaltlich aus wirtschaftlichen Gründen eine bestimmte Klientel bedienen wollen. Sie sind erfolgreicher, wenn sie eben das Weltbild dieser (hier: rechtskonservativen) Klientel bedienen. Auch sie verzerren und desinformieren, vor allem eben durch eine sehr einseitge Themenauswahl und Dastellung. Aber das gilt für andere Medien auch im linksprogressiven Millieu.
Dann haben wir noch profilierungshungrige Journalisten [generisches Maskulinum], die meinen, sie könnten und müssten selbst Politik machen. Die haben oft so etwas wie “Hauptstadtjournalisten” im Titel. Sie wollen selbst die Stars sein und lassen sich dadurch korrumpieren. Nicht vorsätzlich, aber sie müssen eben auch Erwartungen erfüllen. Da gehen dann oft auch Objektivität und Klarheit verloren.
Aber wir haben aber auch viele Journalist:innen, die meinen es eigentlich gut, schießen aber über das Ziel hinaus. Und so verbreiten sie oft ungewollt oder “mit guten Absichten” Verzerrung und Desinformation.
Und dann gibt es viele Journalisten, die einfach nicht mehr die Zeit haben, zu recherchieren. Es muss ja alles immer ganz schnell gehen. Also übernehmen die Desinformation und Verzerrung von anderen. Die sind nicht Ursache von Fehlinformation, dürften aber inzwischen so viele sein, dass sie massiv an der Verbreitung beteiligt sind.
Und andere, die super unter Druck stehen, weil sie Kennzahlen erfüllen müssen. Die müssen dann nur auf Klickzahlen schauen, weil vielleicht ihr Gehalt und ihre Anstellung davon abhängen. Auch die sorgen für massive Verteilung.
Und dann noch mal ganz viele Journalisten, die schlichtweg nicht klug genug sind oder nicht die Fertigkeiten besitzen, so etwas zu durchschauen. Sie googlen einfach, finden ein paar Fundstellen und denken dann, das ist die Wahrheit. Grund dafür ist sicherlich auch, dass durch die große Menge einfach viel weniger gut ausgebildete (oder überhaupt ausgebildete) Journalisten in den Redaktionen sitzen. Erneut: Ich werfe das niemandem vor (außer den ersten beiden). Ich stelle nur die Mechanik dar. Das ist alles verständlich, hat aber eben auch Konsequenzen. Vor allem, wenn durch die Menge ein Ungleichgewicht entsteht.
MEDIENMECHANIK
Dazu kommen dann Politiker:innen, die sich auch profilieren wollen (und müssen?), die Verzerrungen und Fehlinformationen ungeprüft aufnehmen, was für die Journalisten wieder eine Nachricht ist: Also Medien berichten dann, dass die Politiker etwas Dramatisches gesagt haben. Das ist faktisch richtig, sie haben es ja gesagt, aber wenn die Medien dem nicht widersprechen, verbreiten (und bestätigen) sie damit die Verzerrung und Desinformation. Dadurch verstärkt sich das. Das Rad kommt ins drehen.
Das gleich gilt für Prominente, die sich profilieren wollen, den Quatsch auch ungeprüft aufnehmen, was für die Journalisten dann noch mal eine Nachricht ist. Das dreht immer weiter. Hier gilt das Gleiche, wie für Politiker. Denn wenn ein Prominenter etwas sagt, egal wie richtig das ist, dann ist das auch eine Nachricht.
Politiker und Prominente haben dazu gelernt, dass sie umso stärker beachtet werden, je mehr sie dramatisieren und verzerre. Und das nehmen die Journalisten dann auch genüsslich auf, denn das treibt ja die Auflage und die Klicks noch weiter. Journalisten müssen dann nicht mal prüfen, denn sie zitieren ja nur.
Die Algorithmen in den Netzwerken befördern dann auch noch alles, was “Engagement” bringt. Nichts bringt so viel Engagement, wie Empörung und Hass. Also alles Extreme wird immer weiter befeuert.
Das haben vor allem skrupellose Rechtspopulisten verstanden, die (spätestens seit Steven Bannon und Trump) genau damit arbeiten: Gezielt und völlig ohne Skrupel völligen Unsinn raushauen, und wenn es nicht funktioniert, einfach zurückrudern.
Blöd ist dabei, dass die Fehlinformation und Verzerrung immer viel Aufregung und Sichtbarkeit erzeugt, die Klarstellung aber nicht. So verhärten sich Wahrheiten.
Genau diese skrupellosen Menschen machen dann noch mit Verzerrung und Desinformation Stimmung gegen den Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk, der von den allen noch am wenigsten anfällig für die Mechanismen ist. Der ist alles andere als perfekt, aber von allen noch am wenigsten belastet.
NUTZER:INNEN
Und das trifft dann auf Menschen, die einerseits wenig Medienkompetenz haben. Zu viele wurden noch in der medialen Steinzeit sozialisiert, als “das steht in der Zeitung” noch als Indiz dafür galt, dass etwas stimmt.
Viele Menschen verstehen die Komplexität hinter den Dingen auch nicht mehr, und weigern sich einfach, tiefer in Themen einzusteigen. Es macht ihnen Angst, weil sie es nicht verstehen. Also greifen sie die einfachste Erklärung auf und machen dann komplett zu für jedes Argument. Denn über ein Argument nachzudenken, würde Aufwand machen, und das birgt auch die Gefahr, sich eingestehen zu müssen, es nicht zu verstehen.
Dazu kommt dann die “Bubble”-Wirkung. Algorithmen und eigene Selektion führen dazu, vor allem Meinungen zu hören, welche die eigene Meinung bestätigen. Und durch die fortwährende Bestätigung werden Dinge dann zur Wahrheit.
Ein weiteres Thema sind kognitive Verzerrungen (so genannte “bias”). Vor allem Populisten haben verstanden, die wirklich gut zu nutzen. Dann klingen Verzerrungen und Fehlinformationen auf einmal logisch.
Und schließlich kommt dazu, dass Menschen sich oft zuerst eine “emotionale” Meinung bilden, und dann nur noch Argumente zulassen, die dieses Gefühl bestätigen. Da findet keine Ab-wägung mehr statt, sondern nur noch eine Ab-wehr.
HOFFNUNG
Es gibt zahlreiche Medien, die Fakenews aufdecken und eben diese Verzerrungen aufdecken, zum Beispiel mimikama, Volksverpetzer oder
CORRECTIV
Es gibt zahlreiche Einzelpersonenen, die immer wieder und unermüdlich aufklären, spontan fallen mir Heinrich Schmitz oder Stephan Anpalagan an, auch Alf Frommerr, aber auch nur, weil ich gerade heute von denen etwas gelesen habe. Es gibt noch viele andere.
Hoffnung macht mir auch der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk. Die sind deutlich weniger in diesen Zwängen – wenn auch lange nicht perfekt. Schlimm hier nur, dass gerade wieder die rechtskonservativen Medien (allen voran die oben genannten ersten drei Gruppen), den ÖRR mit ständiger Diffamierung, Verzerrung und Desinformation delegitimieren wollen. Warum wohl?
Es gibt zahlreiche super engagierte Journalist:innen, die einen tollen Job damit machen, die Verzerrungen wieder gerade zu rücken.
Im Allgemeinen schafft es das Mediensystem doch, einigermaßen wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Auch im aktuellen Fall mit Last Generation und der toten Radfahrerin, kommt jetzt eben doch “die Wahrheit” ans Licht. Nur leider erreicht die meisten nur einen kleinen Teil. Ich bin sicher, hier gibt es noch viel mehr Punkte. Aber das reicht sicherlich, um zu zeigen, wie vertrackt die Situation ist. Dadurch sind die Mechanismen der Meinungsbildung kaputt, und wir fallen eigentlich wieder zurück in die Zeit des medialen Mittelalters, also in die Zeit vor der Aufklärung.
Und ich hoffe, dass daran unsere Demokratie nicht zerbricht. Wo es hinführt, sehen wir ja an Trump, Melonie, Orban und wie sie alle heißen.
Mirko Lange ist Strategieberater für Content und Content-Marketing im deutschsprachigen Raum. Er ist unter anderem Gründer und Geschäftsführer von Scompler (Redaktionsplanungstool).